In der folgenden Betrachtung sollen zwei Abschätzungen für ein Elektron vorgenommen werden. Im ersten Teil wird gezeigt, dass bei der Wechselwirkung zwischen einem Elektron und einem Proton die Gravitationskraft vernachlässigt werden kann. Anschließend soll der klassische Elektronenradius berechnet werden.
Wechselwirkung zwischen Elektron und Proton
Um zu zeigen, dass bei der Wechselwirkung zwischen einem Elektron und Proton die Gravitationskraft vernachlässigt werden kann, müssen die beiden auftretenden Kräfte Gravitationskraft $F_G$ und Coulomb-Kraft $F_C$ betrachtet und ins Verhältnis gesetzt werden. Für die Gravitationskraft gilt
$$ F_G = -G\frac{m_e m_p}{r^2} $$
mit der Gravitationskonstante $G \simeq 6,67 \cdot 10^{-11}\,\mathsf{N,m^2,kg^{-2}}$, der Elektronenmasse $m_e \simeq 9,11 \cdot 10^{-31}\,\mathsf{kg}$, der Protonenmasse $m_p \simeq 1,67 \cdot 10^{-27}\,\mathsf{kg}$ und dem Abstand $r$ zwischen Elektron und Proton. Die Coulomb-Kraft zwischen zwei Ladungen $q_1$ und $q_2$ im Abstand $r$ ist gegeben über
$$ F_C = \frac{1}{4\pi\epsilon_0}\frac{q_1 q_2}{r^2} $$
mit der elektrischen Feldkonstanten $\epsilon_0 \simeq 8,85 \cdot 10^{-12}\,\mathsf{F,m^{-1}}$. Elektron und Proton besitzen die selbe Ladung $e \simeq 1,60 \cdot 10^{-19}\,\mathsf{C}$, nur mit unterschiedlichen Vorzeichen, und somit $q_1 q_2 = -e^2$.
Für das Verhältnis erhält man:
$$ \frac{F_G}{F_C} = \frac{-G\frac{m_e m_P}{r^2}}{\frac{1}{4\pi\epsilon_0}\frac{q_1 q_2}{r^2}} = \frac{4\pi \epsilon_0 G m_e m_p}{e^2} $$
Setzt man die Zahlenwerte ein, so erhält man für das Verhältnis
$$ \frac{F_G}{F_C} \simeq \boldsymbol{4,4 \cdot 10^{-40}} $$
d. h. die Gravitationskraft kann bei der Wechselwirkung zwischen Proton und Elektron vernachlässigt werden.
Berechnung des klassischen Elektronenradius
Der klassische Elektronenradius $r_e$ soll nun unter der Annahme berechnet werden, dass die Ruheenergie des Elektrons mit der potentiellen Energie einer homogen geladenen Kugel $(q = 1,602 \cdot 10^{-19}\,\mathsf{C})$ übereinstimmt. Hierfür werden drei Fälle betrachtet.
Fall 1
Zunächst sei der Fall betrachtet, dass die Ladung im Elektronenkern zentriert vorliegt (Punktladung). Dann gilt für die Energie
$$ E = \frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 r_e} $$
Gleichsetzen mit der Ruheenergie des Elektrons $E = m_e c^2$ (mit der Lichtgeschwindigkeit $c \simeq 2,998 \cdot 10^{8}\,\mathsf{m,s^{-1}}$ liefert:
$$ m_e c^2 = \frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 r_e} \quad\Rightarrow\quad r_e = \frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 m_e c^2} \simeq \boldsymbol{2,8 \cdot 10^{-15}\,\mathsf{m}} $$
Fall 2
Betrachte den Fall, daß die Ladung homogen auf der Kugelschale mit Radius $r_e$ (d. h. $r_e = const.$) verteilt ist.
$$ \begin{aligned} && \dd{E} & = \phi \cdot \dd{q} = \phi(r_e) \dd{q} = \frac{1}{4\pi\epsilon_0} \frac{q}{r_e} \dd{q} \\ && E & = \frac{1}{4\pi\epsilon_0 r_e}\int_{0}^{e} q \dd{q} = \frac{1}{4\pi\epsilon_0 r_e} \left.\frac{1}{2}q^2\right|_{q=0}^{e} = \frac{e^2}{8\pi\epsilon_0 r_e} \\ \Rightarrow && m_e c^2 & = \frac{e^2}{8\pi\epsilon_0 r_e} \\ \Rightarrow && r_e & = \frac{e^2}{8\pi\epsilon_0 m_e c^2} \simeq \boldsymbol{1,4 \cdot 10^{-15}\,\mathsf{m}} \end{aligned} $$
Fall 3
Betrachte den Fall, daß die Ladung homogen in der Kugel mit Radius $r_e$ verteilt ist.
$$ \begin{aligned} && \dd{E} & = \phi(r(q)) \dd{q} \\ && \varrho & = \frac{e}{V} = \frac{e}{\frac{4}{3}\pi r_e^3} && \quad\text{konstante Ladungsdichte} \\ && q(r) & = \varrho V(r) = \varrho \frac{4}{3}\pi r_e^3 \\ && r(q)^3 & = \frac{q}{\frac{4}{3}\pi\varrho} = \frac{q}{\frac{4}{3}\pi\frac{e}{\frac{4}{3}\pi r_e^3}} = \frac{q r_e^3}{e} \\ \Rightarrow && r(q) & = \sqrt[3]{\frac{q}{e}}r_e \end{aligned} $$
Damit ist das Potential $\phi(r)$ außerhalb der Kugel mit Radius $r$:
$$ \begin{aligned} && \phi(r) & = \frac{1}{4\pi\epsilon_0}\frac{q}{r} \\ \Rightarrow && \dd{E} & = \frac{1}{4\pi\epsilon_0} q\sqrt[3]{\frac{e}{q}}\frac{1}{r_e}\dd{q} = \frac{\sqrt[3]{e}}{4\pi\epsilon_0 r_e} q^{2/3} \dd{q} \\ && E & = \frac{\sqrt[3]{e}}{4\pi\epsilon_0 r_e}\int_{0}^{e} q^{2/3}\dd{q} = \frac{\sqrt[3]{e}}{4\pi\epsilon_0 r_e} \left.\frac{3}{5} q^{5/3}\right|_{q=0}^{e} = \frac{3}{5}\frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 r_k} \\ \Rightarrow && m_e c^2 & = \frac{3}{5}\frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 r_k} \\ \Rightarrow && r_e & = \frac{3}{5}\frac{e^2}{4\pi\epsilon_0 m_e c^2} \simeq \frac{3}{5} \cdot 2,8 \cdot 10^{-15}\,\mathsf{m} \simeq \boldsymbol{1,68 \cdot 10^{-15}\,\mathsf{m}} \end{aligned} $$
Man sieht, daß je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Radien für den Elektronenradius bestimmt werden können, wobei das erste Ergebnis ($r_e = 2,5 \cdot 10^{-15}\,\mathsf{m}$) der empfohlene Wert ist.